Demur (0-1269)

Posted on 15. Januar 2011

0


 

Noch derselben Nacht schicken wir die Nachricht vom Tod.

Das wurde uns, die wir weiter auch bestimmt wurden, den Hausrat zu übernehmen, aufgetragen, genauso bekanntzugeben. Nur diese wenigen Daten, wie verfügt, weiterzuleiten. Wir wollen doch, trotz der zeitlichen Bedrängung, in die wir eingezäunt sind, versuchen, darüber hinaus noch etwas hinzufügen, das die Strenge eines sich amtlich gebenden Bescheides mildert.

Wir teilten es mit, um wessen Hausrat es geht. Wir wissen es aber nicht, nicht einmal jetzt, können wir angeben, ob es ein Mann war, oder, ob es eine Frau war, auch, was den Namen anbelangt, müssen wir uns von Vermutungen leiten lassen. Nun stellen wir sogar die Frage, ob es überhaupt ein Mensch war, den wir zu pflegen hatten. Aber wir haben nicht tatsächlich die Zeit, zu Antworten zu kommen. Denn, im Stundentakt erhalten wir alles uns Zustehende, eine Aufgabenliste, mit heutigem Datum ausgestellte Bescheide, ohne Einspruchspflicht, und die Fahrkarten. Wir erhielten den Auftrag zur Pflege. Dann durften wir in das Land, das wir heute nacht wieder zu verlassen haben.

Als wir die Arbeitsstätte betreten, ist für uns heute hergerichtet, die Sterbemitteilung, und, Anweisungen, was noch zu tun ist. Der Körper jedoch, der uns Gewißheit hätten verschaffen können, ob es ein Mann, eine Frau war, oder, überhaupt ein Mensch, war bereits ausgeschafft.

Wir schrieben es, wenn wir es wüßten, und vor allem, die Zeit dazu hätten. Wir haben aber die Zeit nicht. Wir müssen heute nacht das Land verlassen, weil es keinen Folgeauftrag für uns gibt. Warum wir mit keiner neuen Pflege beauftragt werden, wird nicht mitgeteilt. Die Gesetze dieses Landes, in das wir als Arbeitskräfte kommen durften, schreiben für diesen Fall vor, noch desselben Tages ist das Land zu verlassen.

Das Aufschreiben, was alles seit dem ersten Betreten unserer Arbeitsstätte geschah, könnte uns helfen, zu erfahren, wen wir tatsächlich pflegten. Jetzt wenigstens. Denn vieles war uns nicht verständlich, scheint uns jetzt weiter erklärungsbedürftig. Wir machten es dennoch. Wir wußten nicht, wen wir, wir wagten es nicht, zu fragen. Gar nach einem anderen Auftrag, oder, sogar nach einer anderen Arbeit. Das hielten wir für, wir hätten uns vorgeworfen, undankbar zu sein.

Wir haben zu gehen, wie wir kamen, mit Namen, die niemanden, genauer, die ausschließlich Behörden interessieren, nach denen ausschließlich Behörden fragen. Behörden, ermächtigt, über Einreise und Ausreise zu entscheiden, Aufenthaltsorte zuzuweisen. Wir dürfen mitnehmen, was wir hatten, als wir in das Land kamen, wenn wir es beweisen können. Der Hausrat gehört nicht dazu. Denn der Erbe in einem Pflegefall, teilt uns die Behörde für Pflege und Nachlaßverwaltung mit, ist gesetzlich ausschließlich das Land.

Was wir mitzuteilen haben, haben wir in, oder, als Demur mitzuteilen. Wir vermuten, Demur ist der Name der von uns gepflegten Person. Und, Demur ist zugleich auch, oder, nur ein Titel.

Demur. Es folgten typographische Anweisungen, die erste Überschrift. Das waren, wir erinnern uns, die zu uns gesprochenen ersten Sätze des ersten Diktates. Jetzt scheint uns, daß unsere Aufgabe nicht darin bestand, nur zu pflegen, sondern, für Demur selbst, uns zu diktieren. Das Diktierte auch je sogleich zu veröffentlichen. Dafür wurde uns ein Zugang installiert. Allein dafür durften wir die Kommunikationstechnik in diesem Land verwenden. Es war uns aber nicht möglich, anderes, eigenes zu schreiben. Auch jetzt, da wir dies mitzuteilen haben, sind wir der concritrôle automatique unterworfen, die es verhindert, daß wir anderes, eigenes schreiben, etwas, das nicht mit Demur zusammenhängt. Wir haben es auch nie versucht. Es scheint doch nicht derart streng zu sein, kommt es uns jetzt vor, da wir in …

Es ist, wie, ein Kapitel von Demur. Wir meinen, es ist ein Roman, der uns immer wieder von einer Frau und dann immer wieder von einem Mann als Person aber mit immer ganz genau denselben Defekten und Dysfunktionen stets von diesem Bett aus, bei dem wir jetzt ein letztes Mal wieder stehen und dabei sind, die Aufgabenliste abzuarbeiten, diktiert wurde. Es wurde, erinnern wir uns, zunehmend von Kapiteln gesprochen. Irgendwann wurde auch die Kategorie für die Abschnitte dauerhaft auf nur eine noch verwendete reduziert, auf Chronik.

 Wir haben uns zu eilen.

Wann wurde Demur geboren, wann starb Demur?

Das soll gemäß den Anweisungen nicht nach den bekannten Kalendern angegeben werden, sondern nach einem ohne Religionsbezug. Die Zeitrechnung basiert, wie es scheint, auf der Anzahl der Kapitel.

Die Umfragen in Demur bleiben aktiv. Wir haben auch das mitzuteilen, und schließlich noch, für deren Betreuung wird gesorgt werden.

Es war eine Arbeit, für eine doch lange Zeit, und, mit Begebenheiten, die wir bis dahin nicht kannten.

Wir würden daher nicht ohne Abschied gehen wollen.

Uns angemessen, wie es wohl auch in diesem Land sonst üblich ist,
sich von Toten zu verabschieden.

Wir wissen nicht, ob es für Demur ein Begräbnis geben wird, oder,
überhaupt eines geben kann.

Wir möchten, wenn wir nach zwei Nächten wieder aus dem Zug entlassen werden, erzählen,

wir entschieden uns, für eine gewisse Zeit noch zu bleiben.

Wir gingen vor unserer Abreise noch kurz zum Grab.

Und machten das Bild.

Verschlagwortet: ,
Posted in: Chronik